Geringe Visa-Erteilung im ersten Halbjahr 2020

Die Corona-Pandemie hat sich in den letzten Monaten entscheidend auf den Personenverkehr innerhalb und außerhalb der EU ausgewirkt.

In Deutschland sind im ersten Halbjahr 2020 nur rund 30.000 Arbeitsvisa an Nicht-EU-Ausländer erteilt worden. Lediglich 2015 wurden weniger Arbeitsvisa ausgestellt. Der spürbare Rückgang bei der Erteilung der blauen Karten ist besonders zu betonen. Die Einwanderung aus EU-Ländern ist ebenfalls zurückgegangen. 1

Aktueller Fachkräftemangel im Gesundheits-, Bau-, Handwerks- und MINT-Bereich

Trotz des Rückgangs der Visa-Erteilung und des Anstiegs der Arbeitslosenrate gibt es in der Bundesrepublik Bereiche, in denen starker Fachkräftemangel herrscht.2 56% der Unternehmen sehen den Fachkräftemangel als das größte Risiko für ihre Geschäftsentwicklung.3

In diesem Jahr fehlen in Baden-Württemberg 38.000 Akademiker, 162.000 ausgebildete Fachkräfte und 102.000 weitergebildete Fachleute (Meister, Techniker, Fachkaufleute). 4 2019 bleiben bundesweit 263.000 Arbeitsplätze aus den MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik)-Bereichen unbesetzt. 5

Die gegenwärtigen Umstände verschärfen den bestehenden Fachkräftemangel. Obwohl das Gesundheitsministerium 13.000 Arbeitsplätze für Pflegefachkräfte finanziert hat, sind bis dato erst 2.600 davon besetzt worden.6

Durch die Corona-Pandemie verzögert sich zusätzlich die Anwendung des neu in Kraft getretenen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes.

Der größte Bedarf an Fachkräften besteht in den Bereichen Pflege, Informatik, Technik, Bau und Handwerk.7 Deutschland ist auf die Einstellung von 30.000 ausländischen Pflegefachkräften angewiesen. Im Handwerk sind derzeit 250.000 Stellen unbesetzt.8 Aufgrund der aktuellen Digitalisierungsnot ist in Deutschland ferner die Einstellung von IT-Experten erforderlich.

Der Bedarf an Fachkräften wird langfristig weiterbestehen, da deutsche Unternehmen Personal für die Umsetzung von großen Zukunftsprojekten benötigen. Dazu gehören unter anderem Energiewendeprojekte, die Erstellung digitaler Infrastruktur, Wohnungsbauprojekte sowie die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen. Münchener Konjunkturforscher sind basierend auf Personalplanungen von rund 9.000 Unternehmen zum Ergebnis gekommen, dass im Laufe dieses Jahres eine Regeneration des Arbeitsmarktes zu erwarten ist. Daher ist mit einer fortdauernden Bereitschaft der deutschen Unternehmen für Einstellungen zu rechnen.9

Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) als Lösung für den Fachkräftemangel

Der erste Schritt zur Verstärkung des deutschen Arbeitsmarktes wäre die Anwendung des seit 01.03.2020 in Kraft getretenen FEG zur Anwerbung von ausländischen Fachkräften. Das neue Gesetz konnte aufgrund von der Corona-Pandemie bislang kaum Wirkung entfalten.

Von großer Relevanz ist hier die Tatsache, dass sich der Anwendungsbereich des neuen Gesetzes nicht auf Akademiker beschränkt, sondern auch Fachleute mit Berufsausbildung beinhaltet.

Wichtige Innovationen der neuen Regelung sind: der Verzicht auf die Vorrangprüfung, d.h. die Prüfung, ob es bevorrechtigte EU-Bürger mit den gleichen Berufsqualifikationen gibt, und der Entfall der Engpassbetrachtung einzelner Berufsgruppen. Dies bedeutet, dass sich die erlaubte Zuwanderung nicht auf konkrete Berufe beschränkt. Der Verzicht auf eine Vorrangprüfung sowie der Entfall der Engpassbetrachtung werden voraussichtlich dazu führen, dem bereits deutlich spürbaren Fachkräfteengpass in einigen Branchen, Berufen und Regionen entgegenzuwirken.

Das neu eingeführte Gesetz ermöglicht durch ein beschleunigtes Verfahren die schnellere Erteilung der Aufenthaltserlaubnis. Der künftige Arbeitgeber kann dieses mit einer Vollmacht des ausländischen Arbeitnehmers bei der zuständigen Ausländerbehörde einleiten.
Dabei müssen sich alle beteiligten Stellen an verkürzte Erledigungsfristen halten.

Aufgrund des Pflegenotstandes stellen Fachkräfte aus den Bereichen Altenpflege sowie Gesundheit einen Sonderfall dar. Auf Gesundheits- und Altenpflegepersonal sollte das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz prioritätsmäßig Anwendung finden: eine Visaerteilung bei den deutschen Auslandsvertretungen ist aktuell für diese ausnahmsweise möglich.

Die Verlängerung der Westbalkanregelung als komplementäre Lösung

Mit der Westbalkanregelung aus dem Jahr 2015 wurde Fachkräften aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien der Zugang zu den Bereichen des Handwerks und der Bauwirtschaft des deutschen Arbeitsmarktes vereinfacht. Personen aus diesen Ländern können ein Arbeitsvisum auch ohne Deutschkenntnisse und berufliche Qualifikation erhalten. Voraussetzungen ist ein Arbeitsvertrag und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit. Diese Regelung wurde durch den deutschen Staat bis Ende 2023 verlängert.10

Nach den Schätzungen des Zentralverbandes des deutschen Baugewerbes, arbeiten bei ansässigen Baustellen rund 50.000 Bauarbeiter aus Westbalkanländern sowie Betonstahl- und Fassadenbauer, die in Deutschland schwer zu finden sind.11

Erforderliche Maßnahmen für in Deutschland graduierte Studenten aus Drittstaaten

Ausländer aus Drittstaaten, die ihr Studium in Deutschland abgeschlossen haben, müssen innerhalb von 18 Monaten nach dem Abschluss eine ihrer Qualifikation angemessene Tätigkeit finden, damit sie sich weiter in Deutschland aufhalten dürfen. Im laufenden Jahr hat sich aber die Arbeitsplatzsuche auch für diese Drittstaatsbürger aufgrund der Pandemie besonders erschwert. Dies wird allerdings nicht berücksichtigt und sie sind zur Ausreise verpflichtet. Leider blieben die Bemühungen einzelner Politiker um eine sechsmonatige Verlängerung der Frist zur Suche eines angemessenen Arbeitsplatzes erfolglos.

Daher wird heftig von Politikern auf die Notwendigkeit rascher und realistischer Lösungen hingewiesen. Die Einreise ausländischer Spezialisten soll im Falle einer zweiten Pandemiewelle gesichert werden.

Den Auslandsvertretungen sowie den Ausländerbehörden muss die Möglichkeit gegeben werden, prompt und flexibel durch verkürzte Verfahren die Erteilung von Aufenthaltstiteln zu ermöglichen.12 Das neue FEG verstärkt diese Beschleunigungsmöglichkeiten für Drittstaatsangehörige mit akademischem Hintergrund oder mit beruflicher Ausbildung.

Deutschland ist weiterhin beliebtes Einwanderungsland für EU- und Nicht-EU-Bürger

Es ist erwähnenswert, dass Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Ländern dank der effektiven Reaktion der Regierung auf die Pandemie wirtschaftlich weniger betroffen ist.

Die pandemiebedingte Finanzkrise, die nach Schätzungen andere Länder härter treffen wird, könnte eine zweite Auswanderungswelle aus diesen Ländern nach Deutschland bewirken. Viele Staatsbürger aus EU- und Nicht-EU-Ländern, unter anderem russische, rumänische, polnische, bulgarische, türkische, kroatische Staatsbürger, ziehen Deutschland aufgrund der hohen Lebensstandards als Zielland vor.13

USA und Großbritannien gehörten bis nun ebenfalls zu den beliebten Einwanderungsländern aufgrund ihrer wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Dies dürfte sich aufgrund der nationalen Politik dort aber nachhaltig verändern.

Deutschland entwickelt sich im Gegensatz dazu durch seine Rahmenbedingungen dagegen immer mehr zu einem beliebten Einwanderungsland.


[1] Corona bremst Fachkräfte, Handelsblatt vom 29.07.2020, Nr. 144, S. 3-5

[2] Bundeswirtschaftsminister Altmaier: „Wir brauchen Fachkräfte“, Pressemitteilung vom 28.02.2020, aufrufbar auf der Webseite:  https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2020/20200228-altmaier-wir-brauchen-fachkraefte.html

[3] Fachkräftemangel in Zahlen: Wie ist die Lage wirklich?, Markt und Mittelstand-Das digitale Wachstumsmagazin vom 30.03.2020, aufrufbar auf der Webseite: https://www.marktundmittelstand.de/ personal/fachkraeftemangel-in-deutschland-was-unternehmen-tun-koennen/fachkraeftemangel-in-zahlen-wie-ist-die-lage-wirklich-1291831/

[4] Fachkräftemangel – Zahlen und Fakten Aktuelle Lage in Baden-Württemberg, aufrufbar auf der Webseite:  https://www.stuttgart.ihk24.de/serviceleiste/fachkraeftesicherung/zahlen-und-fakten-zum-fachkraeftemangel-666498

[5] Fachkräftemangel-Informatiker dringend gesucht, 20.11.2019, aufrufbar auf der Webseite:  https://de.statista.com/infografik/20030/fachkraeftemangel-in-mint-berufen/

[6] Corona bremst Fachkräfte, Handelsblatt vom 29.07.2020, Nr. 144, S. 3-5

[7] Fachkräftesicherung-Fachkräfte für Deutschland-Wo der Schuh drückt?, aufrufbar auf der Webseite: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Dossier/fachkraeftesicherung.html

[8] BAP Job-Navigator 07/2020: „Halbjahresvergleich“ 2020 und Corona: Gesundheitsberufe bleiben stabil – Stellenangebote im Hotel- und Gastgewerbe brechen ein, 23.07.2020, Presseportal des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister e.V. (BAP), aufrufbar auf der Webseite: https://www.presseportal.de/pm/104864/4659961

[9] Corona bremst Fachkräfte, Handelsblatt vom 29.07.2020, Nr. 144, S. 3-5

[10] Arbeitsmigranten: Westbalkanregelung soll bis 2023 verlängert werden, Zeit online, 21.07.2020, https://www.zeit.de/news/2020-07/21/arbeitsmigranten-westbalkanregelung-soll-verlaengert-werden

[11] Corona-Krise und Fachkräftemangel bremsen das Wachstum, 13.06.2020, KfW Research, aufrufbar auf der Webseite: https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-Fokus-Volkswirtschaft/Fokus-2020/Fokus-Nr.-293-Juni-2020-Corona-Krise-und-Fachkraeftemangel.pdf

[12] Corona bremst Fachkräfte, Handelsblatt vom 29.07.2020, Nr. 144, S. 3-5

[13] Zugewanderte nach Deutschland nach Herkunftsländern 2019, 30.06.2020, aufrufbar auf der Webseite:  https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157446/umfrage/hauptherkunftslaender-der-zuwanderer-nach-deutschland-2009/

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